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Nonnenstudie

Eiweiß ist doch eigentlich gesund. Es liefert uns wichtiges Aufbaumaterial. Aber eben nur dort, wo es hingehört. Das zeigt einmal wieder die Relativität der Dinge – nicht alles überall zu jeder Zeit macht uns Freude. Eiweiß, das sich im Gehirn ablagert, Beta-Amyloid, stört nämlich selbiges. Es wird dort nicht gebraucht, liegt dort als Müll herum und stört den Ablauf der Vorgänge, so wie Müll, der sich in unserer Wohnung ansammelt, uns Wege und Abläufe versperrt. Wenn diese Vermüllung verheerende Ausmaße annimmt, wissen wir, was passiert: Vergesslichkeit, Desorientierung, Siechtum, kurz gesagt: Demenz.

Wie aber kommt es, dass es manchen Menschen gelingt, problemlos über den Müll wegzusteigen, wendig und elegant, als ob die Wege frei wären? Wie können wir uns erklären, dass es Menschen gibt, die sich frei bewegen trotz Müll, ohne Einschränkung fungieren?

Der Epidemiologe David Snowdon, Kentucky Universität, führte 1986 eine Studie durch an etwa 600 Ordensschwestern im Alter von 76-107 Jahren, denn er wollte, dass die Umfeldbedingungen möglichst konstant sind, also möglichst gleiche Ernährung, gleicher Tagesablauf, gleiche Bedingungen. Was er fand, war genau das: die geistige Aktivität, die er übrigens Jahrzehnte zurückverfolgen konnte, war spannend. Manche der Studienteilnehmerinnen konnten anspruchsvolle Aufgaben bis an ihr Lebensende meistern und waren geistig in keiner Weise eingeschränkt, obwohl ihr Gehirn diese einschränkenden Eiweißablagerungen aufwies. Keine Zeichen einer Demenz waren nachweisbar. Was wurde untersucht? Die Forscher studierten die Tagebücher der Nonnen ab einem Lebensalter von etwa 22 Jahren und untersuchten sie auf positive Wörter und auf die Grundstimmung der Texte. Nach dem Tode wurden die Gehirne der Nonnen obduziert. 15 wiesen Alzheimer Veränderungen auf. Sie waren dennoch nicht beeinträchtigt und alle Nonnen, die eine positive Grundeinstellung hatten, lebten 10 Jahre länger und wiesen auch weniger Abnützungserscheinungen im Gehirn auf.

Die Einstellung, die Überzeugung hat also nicht nur direkte Einflüsse auf die Hirnstruktur, sondern kümmert sich selbst bei gestörter Hirnstruktur nicht um sie, sondern macht weiter wie immer, so als ob nichts wäre.

Was ist denn diese positive Lebenseinstellung? Hat sie etwas mit dem Glück zu tun, relativ ungeschoren durchs Leben zu kommen, keine Krisen zu kennen, keine Phasen der Trauer oder Verzweiflung? Sicher nicht, denn darin fand man keinen Unterschied in den Lebensläufen der Nonnen. Was macht also den Unterschied? Es ist die Grundeinstellung, die Überzeugung, dass wir nützlich sind, dass wir das Leben meistern, dass wir mit dem Leben einverstanden sind, auch wenn es uns immer wieder Probleme macht. Es ist die Dankbarkeit, sich an dem zu freuen, was wir haben und auch etwas dafür zu tun. Es ist eine grundlegende Haltung dem Leben gegenüber. Es ist die Lebensfreude, die uns davor bewahrt, in schwierigen Situationen aufzugeben, die Ehrfurcht vor dem Leben, die unsere Resilienz stärkt. Resilienz, das ist unsere Fähigkeit, aufzustehen, wenn wir fallen, die Fähigkeit, uns seelisch schnellstens wieder aus einer misslichen Lage zu befreien.

Resilienz können wir trainieren, wir können es sogar zu einem Sport machen. Dankbarkeit können wir pflegen. Wir können ein Dankbarkeitstagebuch führen. Am Leben können wir uns freuen, indem wir uns jeden Tag auf etwas fokussieren, das uns Freude bereitet.

Ein langes Leben bei geistiger Gesundheit ist also lernbar. Ist das nicht eine gute Nachricht?


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